Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind ab dem 1. August 2022 verpflichtet, notarielle Online-Verfahren anzubieten.
Was bedeutet das konkret für die notariellen Aufgaben im Gesellschaftsrecht?
Olga Felix: Für alle Notarinnen und Notare besteht nunmehr die Amtspflicht, notarielle Online-Verfahren durchzuführen. Sie haben als Bürger eine Wahlmöglichkeit und können entscheiden, ob Sie ein Präsenzverfahren, ein Online-Verfahren oder eine gemischte Beurkundung wünschen.
Das Online-Verfahren muss allerdings von der Notarin / dem Notar abgelehnt werden, wenn die Erfüllung der Amtspflichten auf diese Weise nicht gewährleistet werden kann, insbesondere wenn sie / er sich keine Gewissheit über die Person einer / eines Beteiligten verschaffen kann oder Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit hat. Auch wird ein laufendes Online-verfahren aufgrund schlechter Internetverbindung abgebrochen werden müssen.
Im Gesellschaftsrecht kann das Online-Verfahren durchgeführt werden bei:
Beglaubigungen für sämtliche Handels-, Partnerschafts- und Genossenschaftsregisteranmeldungen,
Gründung einer GmbH oder einer UG (haftungsbeschränkt) in bar, oder
Beurkundung einer Gründungsvollmacht betreffend die Gründung einer GmbH oder UG (haftungsbeschränkt).
Gilt das Amtsbereichsprinzip der Notarinnen und Notare auch für Online-Verfahren?
Olga Felix: Notarinnen und Notare dürfen in einem Online-Verfahren nur dann tätig werden, wenn in ihrem Amtsbereich u. a. einer der folgenden örtlichen Anknüpfungspunkte liegt:
Sitz der Gesellschaft oder
Wohnort des handelnden organschaftlichen Vertreters oder Gesellschafters (sofern Gesellschafter aus dem Handelsregister oder einem anderen Register ersichtlich ist).
Welche technischen Voraussetzungen sind zu erfüllen?
Olga Felix: Sie benötigen eine schnelle und stabile Internetverbindung (DSL, Kabel, LFC, etc.), einen Computer mit Kamera und Mikrofon sowie ein geeignetes Smartphone zum Auslesen der Ausweispapiere und des Lichtbilds. Auf dem Smartphone ist die von der Bundesnotarkammer entwickelte Notar-App zu installieren, die ab dem 1. August 2022 im GooglePlay- und Apple-Store kostenlos zur Verfügung steht.
Weiter benötigen Sie einen deutschen Personalausweis, einen elektronischen Aufenthaltstitel oder eine Unionskarte mit aktivierter Online-Funktion, jeweils nebst Ausweis-PIN.
Die PIN wird im Rahmen der Ausstellung des Ausweisdokuments übermittelt und kann erneut angefordert werden, wenn sie nicht mehr bekannt ist (https://www.personalausweisportal.de/Webs/PA/DE/buergerinnen-und-buerger/online-ausweisen/online-ausweisen-node.html).
Auch andere europäische elektronische Identitätsnachweise (eID) des Sicherheitsniveaus "hoch" können verwendet werden. Dies trifft gegenwärtig auf bestimmte Ausweisdokumente aus Belgien, Estland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Slowakei, Spanien und Tschechien zu. Die Notar-App sowie die von der Notarkammer betriebene Internetplattform wird Ihnen ermöglichen, die Geeignetheit Ihrer Ausweisdokumente vorab zu testen.
Für den zweiten Schritt, den Lichtbildabgleich, benötigen Sie einen NFC-fähigen amtlichen Ausweis, der ein Auslesen des Lichtbildes unterstützt (deutscher Personalausweis oder elektronischer Ausenthaltstitel).
Soweit Sie der Notarin / dem Notar persönlich bekannt und bereits früher identifiziert wurden, kann auf einen Lichtbildabgleich verzichtet werden. Die eID wird jedoch auch in diesem Fall für den späteren Signiervorgang benötigt.
Wie läuft das notarielle Online-Verfahren ab?
Olga Felix: Sie können sich auf der Seite www.onlineverfahren.notar.de zunächst über das Verfahren informieren. Die Teilnahme am Verfahren erfordert eine Registrierung mit der eID-Funktion des Personalausweises und das Auslesen Ihres Lichtbilds aus dem Chip Ihres Reisepasses oder Personalausweises. Das Auslesen der eID und des Lichtbildes erfolgt einfach und sicher über Ihr Smartphone mittels einer von der Bundesnotarkammer kostenfrei zur Verfügung gestellten App. Darauf folgt ein sicherer digitaler Austausch von Informationen und Dokumenten mit Ihrer Notarin / Ihrem Notar. Sie können einige Eckdaten zum Sachverhalt eingeben, Ihr Anliegen in eigenen Worten schildern, optional Dokumente hochladen, eine zuständige Notarstelle auswählen und von Vorgang an das Notarbüro übermitteln. Die Kommunikation kann nunmehr auf herkömliche Art (E-Mail, Telefon etc.) erfolgen oder über die eigens vorgesehene Chat-Funktion im XNP-Modul. Ist die Vorbereitung abgeschlossen, wird ein Termin für die Videokonferenz vereinbart.
In der Videokonferenz werden Sie anhand der ausgelesenen eID-Daten sowie des ausgelesenen Lichtbildes durch die Notarin / den Notar identifiziert. Der Inhalt des zu signierenden elektronischen PDF-Dokuments wird vorgelesen und erläutert und es werden letzte Änderungen vorgenommen. Abschließend wird das Dokument durch Sie sowie durch die Notarin / den Notar mit einer qulifizierten elektronischen Signatur versehen. Sie erhalten hierfür eine SMS-TAN auf Ihr Smartphone und geben diese auf der Internetplattform ein, wodurch Sie eine Fernsignatur auslösen. Die Notarin / der Notar signiert wie gewohnt mittels Signaturkarte. Die so entstandene Urkunde wird anschließend in das elektronische Urkundenverzeichnis hochgeladen. Die dort gespeicherte Urkunde gilt als elektronische Urschrift, von welcher elektronisch beglaubigte Abschriften erstellt werden können, um sie an das Registergericht zu übermitteln.
Die Beteiligten können in einer notariellen Videokonferenz auch mehrere Dokumente signieren. Das System erlaubt außerdem, dass etwa eine Gesellschafterliste nur von den Geschäftsführerinnern / Geschäftsführern, nicht aber von der Notarin / dem Notar mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird.
Änderungen am Text der Urkunde, die während der Urkundsverhandlung erforderlich werden, können z. B. in Microsoft Word vorgenommen und verlesen werden. Das Dokument muss dann für den Signierungsvorgang erneut in ein PDF-Dokument umgewandelt werden. Auch können Änderungen an einem Ausdruck handschriftlich vorgenommen werden, diese sind dann im PDF-Formar einzuscannen, welches dann signiert wird. In diesem Fall muss für die Einreichung zum Handelsregister eine maschinenlesbare und durchsuchbare Abschrift erstellt werden.
Sobald die Eintragung im Register vollzogen wurde und die Notarin / der Notar dies geprüft hat, erhalten Sie eine Push-Mitteilung auf die Notar-App über den erfolgreichen Verfahrensabschluss.
Welche zusätzlichen Gebühren entstehen durch das Online-Verfahren?
Olga Felix: Neben den gesetzlich festgelegten Gebühren für die Beurkundung der Gründungsurkunde bzw. der Beglaubigung der Handelsregisteranmeldung wird eine Pauschale von 25,00 € pro Beurkundungsverfahren und 8,00 € pro Beglaubigungsverfahren fällig.
Vielen Dank!
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